cigar | Der rauchende Yogi
Aus Cigar 1/2018
Lifestyle

Der rauchende Yogi

Als Headhunter bringt Stefan Böni hoffnungsvolle Talente dazu, ihre Arbeitgeber für seine Kunden zu verlassen. Sich selbst hat er auf die Yogamatte geschickt.

Text: Delia Bachmann
Fotos: Stefan Kaiser

Vor den Zehen des steinernen Buddhas liegt die frische Asche eines Räucherstäbchens, der Computer spielt tibetische Klangschalenmusik. Wie jeden Montagabend bereitet Stefan Böni das Inktank-Tattoostudio im Zürcher Quartier Wiedikon für die Yogastunde vor, danach gehts ins Stadtzentrum zum Zigarrenrauchen. Acht Matten und Tücher liegen bereit, die Männer haben sich umgezogen, die Show kann losgehen. Mit dem hellen Ton zweier Zimbeln leitet Böni, im Lotussitz, die Meditation ein: «Wir sitzen jetzt da, atmen ein. Tief einatmen in den Bauch. Wir halten unseren Atem fest. Halten ihn fest. Und langsam ausatmen durch die Nase.» Schwer vorstellbar, dass dieser Mann noch vor 13 Jahren am Schneidersitz scheiterte.

Fünf Tage zuvor im Séparée der Zürcher Zigarrenlounge Manuel’s: Stefan Böni sitzt gelassen da, mit dem Rücken zur Wand. Auf dem Tisch steht ein Tee mit frischer Minze, die Flor Dominican in seiner rechten Hand glüht bereits. Noch verdient der 49-Jährige seine Brote als Headhunter. Er trägt einen eleganten Anzug mit Pochette, stellt Gegenfragen und ist ständig am Netzwerken. Auch hier im Manuel’s, in dem er viele seiner Yogamänner rekrutiert hat: «Das Zigarrenrauchen ist eine Brücke, die den Männern den Weg zum Yoga erleichtern soll.» Er selbst wurde damals von seinem Trainer geschickt: «Meine Sehnen waren vom Boxen und Bankdrücken so verkürzt, dass ich meinen Ellbogen nicht mehr strecken konnte.» Für einen Yogi ist Stefan Böni noch immer nicht besonders beweglich, vom asketischen Lebensstil hält er wenig. Ihm geht es um etwas anderes: «Der grösste Erfolg ist, wenn die Schüler sich selbst bewusst werden und einfach mal ankommen im Hier und Jetzt. Weg von all den Ablenkungen.» Darum müssen die Frauen auch draussen bleiben.

Die Meditation ist vorbei, die Männer schlagen die Augen auf. Stefan Böni zeigt die erste Übung (Asana) kurz vor, steht auf und geht dann von Schüler zu Schüler. Er rückt hier einen Rücken gerade, drückt dort die Arme nach hinten, legt seine Hände korrigierend auf Hälse, Schultern und Hüften. Beim Kopfstand hält er den Männern die Beine. Dabei redet er praktisch ohne Pause: «Ja, schön. Super, schön. Arsch hoch. Schön. Und strecken. Und in den Bauch schnaufen. Schön. Schön halten, und rauf. Schön strecken. Strecken. Jawohl. Und schnaufen. Sehr schön. Und loslassen.» Böni lehrt klassisches Hatha Yoga, die Asanas wirken ruhig. Beim Berg etwa gehe es darum, sich zu spüren und bewusst zu stehen, hüftbreit und leicht nach vorne geneigt, in sich ruhend: «Sehr kraftvoll für Männer, die im Büro den ganzen Tag diese Bananenhaltung haben.» Der Krieger – grosser Ausfallschritt, Hände und Kopf zum Himmel gestreckt – ist sein Lieblingsasana. Er selbst sei ja wie Johannes in der Wüste. Der Einzige, der «Männer macht Yoga» predigt und gegen das Vorurteil «Weiberzeug mit Strümpfen» kämpft. Ein Blick in die verzerrten Gesichter und auf die kullernden Schweisstropfen zeigt, wie streng die Asanas tatsächlich sind.


Mit einem Streichholz entzündet Böni die erloschene Zigarre neu, die Minze klebt an den Wänden des leeren Glases. Er erzählt überlegt, mit ruhiger Stimme, aber sprunghaft. Kein Wunder bei einer Geschichte, die locker zwei Leben ausfüllen könnte: geboren 1968, im Jahr des Affen, aufgewachsen im Berner Oberland. Katholisch, drei Geschwister, die Mutter alleinerziehend. Nach der ausgesessenen Galvanikerlehre bei der Swissair organisierte er Partys und Konzerte – die Bandbreite reichte von DJ Bobo bis Steppenwolf. Mit 25 arbeitete er als Tauchlehrer auf den Philippinen. Dort begann er wegen der Mücken mit dem Zigarrenrauchen. Danach wird es unübersichtlich: Stefan Böni arbeitete lange im Verkauf und Marketing, etwa als Anzeigenverkäufer beim NZZ Folio, nebenbei auch als Erwachsenenbildner. Er absolvierte in Australien ein MBA-Studium, wurde Geschäftsführer eines Verbands, später Skilehrer und machte in den letzten 13 Jahren immer wieder Yoga: in der Schweiz, auf Mallorca, im Iran, wo er erstmals Männer unterrichtete, mehrmals in Indien, wo er sich in Dharamsala zum Yogi ausbilden liess. Und auch ein Buch ist in Arbeit. Ist dies nun das Ende einer langen Suche?

Stefan Böni atmet lange aus, der weisse Rauch bleibt eine Weile über dem Tisch hängen, dann antwortet er: «Ich habe immer 1000 Affen in meinem Kopf, die durcheinanderreden. Wenn ich Yoga mache, redet nur noch einer.» Er sei heute in einer anderen Kraft, erlebe alles bewusster, das Reden, das Rauchen, die Ruhe. Wäre die Welt von bewussten Männern bevölkert, ist Böni überzeugt, hätte es die #MeToo-Debatte nie gegeben: «Was will man mehr als einen Chef, Partner oder Freund, der bewusst ist?»

Es gehe nicht darum, ein anderer Mann zu werden oder gegen die eigene Natur anzukämpfen. Im Gegenteil: «Als Geschäftsmann bin ich authentischer geworden.» Immer noch emotional, aber nicht mehr aufbrausend: «Im Yoga sagt man, dass Emotionen nur die Brandung sind, du selbst aber das Meer bist.» Die wütenden Wellen werden zu einer kraftvollen Strömung in der Tiefe des Meeres. Die Wasseroberfläche bleibt dabei spiegelglatt. Wenn es um andere geht, seine Kandidaten etwa, versucht der Headhunter unter diese Oberfläche zu blicken: «Ich spreche nie über den CV, sondern über den Menschen. Achte darauf, was er sagt, wie er redet, was er verschleiert. Die blinden Flecken sind spannend, die Schicksale, der Frust, der Mut.»

In der Yogaklasse ist Ruhe eingekehrt, die Männer liegen mit dem Rücken auf der Matte. Schwungvoll faltet Stefan Böni die Tücher auseinander, bedeckt damit die Beine der Männer, dann löscht er das Licht. Die Todesstellung Shavasana, das letzte Asana des Abends, dauert mehrere Minuten. Das Licht holt die entschlummerten Schüler ins Studio zurück, die Klangschalen verstummen, die Stunde ist zu Ende. Beim Eingang ziehen sich die Männer um. Auch Stefan Böni tauscht sein T-Shirt mit dem klavierspielenden Teufel auf dem Rücken, das er zu Beginn der Stunde vom Verkaufsständer des Studios gefischt hat, gegen den Business-Anzug. Nur die Mala, eine Art hinduistischer Rosenkranz mit Holzperlen, verrät ihn noch als Yogi. Spätestens im Manuel’s geht die andächtige Stimmung in Rauch auf.

www.yogamen.ch
www.inktank.ch
www.manuels.ch

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