cigar | Alte Kuh, neu entdeckt
Aus Cigar 1/2015
Speis & Trank

Alte Kuh, neu entdeckt

Kuhfleisch auf der Menükarte? Sie haben nicht falsch gelesen. Dass das Fleisch alter Tiere besser ist als sein Ruf, entdecken jetzt immer mehr Feinschmecker.

Text: Virginia Nolan
Fotos: Marcel Studer

Otto Normalbürger will zartes Fleisch. Blutleer und fettfrei für die Frau, saftig und grillfest für den Mann. Klischees? Schon möglich. Fest steht, dass wir ganz schön wählerisch sind, wenn es ums Fleischessen geht. Was sich nicht als Filet oder zumindest à la minute in die Pfanne hauen lässt, hat beim Konsumenten einen schweren Stand. Metzger würden auf halben Tieren sitzenbleiben, könnten sie weniger begehrte Stücke nicht zu Hackfleisch oder Wurst verarbeiten. Wir wollen edles Fleisch – und junge Tiere. Bestellen Kalbskarree und Rindsfilet. Besonders bei der Kuh hält sich das Vorurteil, das Fleisch von älteren Tieren sei ungeniessbar. Umso mehr erstaunt es, dass genau diese Stücke neuerdings auf den Speisekarten renommierter Gastgeber landen. Fleisch von Mutterkühen, die bis zu zehn Jahre auf ihrem Buckel haben, begeistert einen wachsenden Kreis von profilierten Köchen.

Ein Herz für Aussenseiter
Was es mit der alten Kuh auf sich hat, weiss Patrick Marxer. Im Zürcher Oberland stellt er Delikatessen aus Fleisch und Fisch her, beliefert Gastronomen und Privatkunden. «Das Pure» heisst sein kleines Unternehmen. Marxer begehrt, was andere links liegen lassen, widmet sich mit Herzblut den Aussenseitern – vom Suppenhuhn bis zur Schweinswade. Er wurstet, räuchert, veredelt. «Wie kann etwas als minderwertig gelten, das von einem guten Tier stammt?», fragt er. Vor sich hat er einen guten halben Meter tiefrotes Fleisch, das im Kühlraum am Knochen reift. Es hängt nicht, es liegt, das schont die Muskelstruktur. Das Entrecote stammt von einer acht Jahre alten Kuh aus dem Appenzellerland. Eine sogenannte Limousin, die zu den Fleischrassen zählt. Diese setzen mehr Fett an als Milchkühe, vor allem in den Muskeln. Davon zeugt die Marmorierung, die den Geschmacksträger Fett ins Fleisch ausbringt und mit dem Alter des Tieres ausgeprägter wird. Marxer wird das Fleisch 100 Tage reifen lassen und dann eine Handvoll Gastronomen damit beliefern. Die Appenzeller Kuh hat gut achtmal gekalbert, ihre Jungtiere auf der Weide jeweils ernährt, bis diese von der Milch entwöhnt und mit zwölf bis 18 Monaten geschlachtet wurden. Marxer würde ihr Fleisch dem der Jungtiere jederzeit vorziehen. Warum? «Es ist ganz langsam gewachsen. Das gibt ein Aroma, an das Rindfleisch nicht herankommt.»

Patrick Marxer
Patrick Marxer


Die Kuh lässt das Rind alt aussehen

Das Aroma. Damit begründet auch Nils Osborn, Küchenchef im Restaurant Quai 61 in Zürich, sein Faible für Kuhfleisch. Vor ein paar Wochen hat er Kuhfilet, das er von Marxer bezieht, auf die Karte gesetzt. Es ist der neue Verkaufsschlager. «Manche Gäste sind irritiert, wenn sie ‹Kuhfleisch› lesen», sagt er, «aber das Geschmackserlebnis enttäuscht keinen.» Osborns Kuhfilet, kurzgebraten und dargereicht mit wenig Meersalz, schmeckt, ganz ohne Zugabe, wunderbar würzig und hat eine leicht nussige Note. Die Kuh lässt das Rind alt aussehen. Was für eine Sünde, sie zu verwursten.

Im Zürcher In-Lokal Café Boy hantiert Chefkoch Jan Hoffmann mit einem Kuh-Entrecote am Stück. Es hat vier Wochen Trockenreifung in einem speziellen Beutel hinter sich. Der Probelauf in der Küche überzeugt nicht nur den Küchenchef: Das Fleisch hat mehr Biss als das Pendant eines jüngeren Tieres, dafür schmeckt es sensationell intensiv. «Das Tolle am Kuhfleisch ist sein Eigengeschmack», sagt Hoffmann. Zum Stück, das vor ihm liegt, gibt es auch die Steigerungsform: ein während 100 Tagen am Knochen gereiftes Entrecote. Hoffmann hat es Gästen bereits serviert. «Das ist so intensiv, da kann selbst der Fleischliebhaber nach 150 Gramm nicht mehr. Aber es schmeckt bombastisch», sagt er und lacht.

Eine Frage des Geschmacks
In der Tat: Die alte Kuh verdient die Superlative. In Spanien etwa ist ihr Fleisch heiss begehrt. Es bleibt abzuwarten, ob sie uns spröde Deutschschweizer für sich gewinnen kann. «Östlich von Bern muss Fleisch in erster Linie zart sein», schreibt der Branchenverband Proviande. In der Romandie dagegen stosse Kuhfleisch auf wachsendes Interesse, «weil sich Gäste eher Biss und dafür mehr Geschmack wünschen». Im Supermarkt werden wir die Kuh – und als solche gilt jedes Tier, das mindestens einmal gekalbert hat – nach wie vor nur im Hackfleisch oder Cervelat antreffen. Im Grosshandel wird sie, halb so teuer wie Rind, weiterhin unter der offiziellen Deklaration «Rind zweiter Klasse» erhältlich sein. Dem erstklassigen Geschmackserlebnis, das sie uns beschert, tut das bestimmt keinen Abbruch.

Für den Selbstversuch
Wer das kulinarische Experiment Kuhfleisch in den eigenen vier Wänden wagen will, sollte ein erfahrener Fleischkoch sein, sagt Experte Patrick Marxer von «Das Pure» in Wetzikon: «Wenn die Gartemperaturen nur minim überschritten werden, wird das Fleisch sofort zäh.» Einzelne Stücke können bei Marxer auf Anfrage bestellt werden.

Das Pure
Zürcherstrasse 47
8620 Wetzikon
043 497 09 76
www.daspure.ch

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