cigar | «MAN MUSS HUNGRIG SEIN»
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Tabak total

«MAN MUSS HUNGRIG SEIN»

In einem rekordverdächtigen Tempo hat Sébastien Decoppet seine Zigarrenmarke Cavalier of Geneva international etabliert. Im Interview spricht der Genfer über die Anfänge, die Schwierigkeiten – und die Zukunft.

Interview: Tobias Hüberli
Fotos: Njazi Nivokazi

Was muss passieren, damit ein junger Mann einfach so nach Honduras reist und ins Zigarrenbusiness einsteigt?
Sébastien Decoppet: Ich hatte eine gute Kindheit, wenn Sie das meinen. Mir fehlte es an nichts. Aber das Leben in Genf lenkte mich in eine Bahn, die mir nicht passte. Man sollte studieren und dann Anwalt werden oder so was. Ich beschloss auszubrechen und verliess mein Zuhause, als ich 17 Jahre alt war. Es folgten ein paar sehr turbulente Jahre mit Zeiten ohne Kontakt zu meiner Familie. Die Situation wurde so schwierig, dass ich irgendwann glaubte, ich hätte nichts mehr zu verlieren. Mit diesem Gefühl zog ich als 22-Jähriger nach Honduras. Ich war nicht glücklich und es konnte nur besser werden.

Was wussten Sie damals über Zigarren?
Nicht viel. Als ich 20 Jahre alt war, begann ich, Zigarren zu rauchen. Das war damals ein teures Hobby für mich. Aber es gab mir die Möglichkeit, einmal im Tag eine Pause einzulegen und über die Welt nachzudenken. Ich las auch viel über das Thema in Büchern und Magazinen. Als ich dann das erste Mal eine Manufaktur in Honduras betrat, realisierte ich schnell, dass es noch viel zu lernen gibt.

Wie gingen Sie vor?
Ich verbrachte etwa ein Jahr hauptsächlich in Honduras, zwar reiste ich viel, etwa nach Nicaragua, Costa Rica, Kuba oder in die Dominikanische Republik, aber Honduras wurde zu meiner neuen Heimat. Ich besuchte Manufakturen, die Felder und schaute mir alle Arbeitsprozesse an. Ich lernte, mehr schlecht als recht, wie man Zigarren rollt, wie man sie verpackt und was sonst noch alles dazugehört. Vor allem aber knüpfte ich Kontakte zu Mitgliedern der Plasencia-Familie, die mich aufnahmen und seither unterstützen.

Ende 2015, ein Jahr nach Ihrer Ankunft in Zentralamerika, kreierten Sie die Zigarren­ marke Cavalier of Geneva. Zusammen mit Ihrer Partnerin Eylin?
Fast. Eylin und ich lernten uns kennen, als ich nach Danlí zog. Sie rauchte zwar Zigarren, hatte aber nichts zu tun mit der Tabakindustrie. Die Marke kreierte ich alleine, aber sie kam gerade nachher dazu. Das Diamant-Design aus Blattgold auf unseren Longfillern war zum Beispiel ihre Idee. Wenn ich zurückblicke, scheint das alles ziemlich unglaublich.

Inwiefern?
Wir hatten beide keine Wurzeln in der Tabakwelt. Die Unternehmen im Zigarrenbusiness werden in der Regel von Familien geführt, die seit Generationen in der Tabakindustrie arbeiten. Ich hatte viel Glück, in so einem frühen Alter einen Zugang erhalten zu haben. Aber man muss auch etwas daraus machen. Tatsächlich würde ich die Dinge, die ich damals wagte, heute wohl nicht mehr machen. Ich bin etwas bequem geworden. Um so ein Unternehmen aufzubauen, muss man hungrig sein und Risiken eingehen. In den letzten fünf Jahren gingen wir mehrmals fast pleite, mit nur noch ein paar wenigen 100 Dollars auf dem Konto.

Sie fokussierten sich früh auf den US­ amerikanischen Markt, wechselten dafür 2018 Ihr Domizil nach Texas. Aus welchen Gründen?
Von unserem Büro in Genf aus beliefern wir heute etwa 30 Länder. Für die USA läuft die Distribution separat. Zu Beginn hatten wir dort einen Importeur, aber das funktioniert nur bis zu einem bestimmten Punkt.

Weshalb?
In der Zigarrenwelt existieren zwei Ökosysteme: die USA und der Rest der Welt. In den Vereinigten Staaten fehlen die kubanischen Longfiller komplett, dafür existieren sehr erfolgreiche Unternehmen, deren Produkte ausserhalb der USA gänzlich unbekannt sind. Vor allem aber sind sich die Amerikanerinnen und Amerikaner gewohnt, ein Gesicht hinter den Zigarren zu kennen. Von Europa aus kann man dort keine Zigarren verkaufen. Also beschlossen Eylin und ich, unser Glück vor Ort zu versuchen.

Und?
Wir mussten bei null anfangen, hatten keinen einzigen Abnehmer. Das war ein bisschen kompliziert. Man sieht die massiven Möglichkeiten dieses Markts, findet aber keinen Zugang dazu. Die ersten Monate waren ein Albtraum. Das Abenteuer kostete uns extrem viel Geld, und es kam nichts zurück. Es gibt zwar viele Zigarrenfachgeschäfte, aber das Vertrauen der Inhaber muss man sich erarbeiten. Wir waren nahe dran, das Ganze abzubrechen. Es ist hart, bis die Leute einen als Teil der Industrie akzeptieren. Zurzeit zählen wir in den USA etwa 500 Retailer-Kunden. Ein guter Gradmesser ist die Zigarrenmesse PCA. Als wir das erste Mal teilnahmen, beteten wir, dass jemand zu uns kommt. Das letzte Mal war der Stand so voll, dass die Leute förmlich wieder aus dem Stand rausgedrängt wurden.

Vor zwei Jahren eröffneten Sie eine eigene Fabrik, ein logischer Schritt?
Eigentlich wollte ich nie eine eigene Fabrik, weil es sehr schwierig ist, an den guten Tabak zu kommen. Das geht nur, wenn man die richtigen Beziehungen hat. Aber es war die einzige Lösung, um zu wachsen. Wir waren damals nicht mehr klein genug, um bei einem Hersteller zwischen dessen eigene Produktion zu passen, aber nicht gross genug, um die Ersten auf der Liste zu sein. Unsere Fabrik ist mit zwischen 80 und 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eher klein. Aber es ist nicht schlecht. Wir sind eine grosse Familie. Als wir die Fabrik eröffneten, kündigten die Leute, die mir am Anfang das Zigarrenrollen beibrachten, ihre Jobs, um bei uns anzufangen. Darauf bin ich heute noch stolz.

Wie viele Zigarren stellen Sie aktuell pro Jahr her?
Zurzeit produzieren wir pro Jahr etwa 1,5 Millionen Zigarren. Davon entfallen 750 000 Stück auf die Marke Cavalier of Geneva. Der Rest sind Zigarren, die wir für Freunde herstellen. Da sind wir ziemlich wählerisch, vor allem auch, weil wir nicht so viel Platz haben.

Die Fabrik ist also bereits zu klein?
Allerdings. Der nächste Schritt ist es, die Vorproduktion auszubauen, also die Fermentation der Tabake. So können wir unser Schicksal etwas besser steuern, aber das braucht viel Platz, der zurzeit noch limitiert ist. Irgendwann sollten dann auch eigene Tabakfelder hinzukommen. Darüber denken wir bereits nach, aber es ist nicht einfach, die richtigen Leute zu finden, die sich auf dieses Handwerk verstehen und denen man vertraut.

Die Marke Cavalier of Geneva besteht noch immer aus relativ wenigen Linien. Das ist erstaunlich. Gerade in den USA braucht es immer etwas Neues.
Das hat wohl damit zu tun, dass wir mit dem Brand in Europa, genauer in der Schweiz, starteten. Lange hatten wir ein
relativ kleines Portfolio. Aber jetzt kommen wir schon an einen Punkt, an dem die Dinge anders laufen. Wir lancieren neue Brands, die Zigarre Inner Circle zum Beispiel. 2023 werden wir weitere Zigarren auf den Markt bringen. Einerseits geht es darum, zu expandieren, andererseits begeben wir uns mit der Entwicklung neuer Blends jedes Mal in ein neues experimentelles Feld. Unsere Zigarren sind eine Form der Kommunikation. Und je grösser das Portfolio, desto grösser sind die Möglichkeiten, etwas auszudrücken.

Was fasziniert Sie an der Zigarrenwelt?
Wir sehen oft nur das Endprodukt schön verpackt in den Regalen stehen, nicht aber, was alles dahinter steckt. Premium-Zigarren werden von Menschen gemacht, zahlreiche Familien leben davon. Und dann ist es ein traditionelles Handwerk, das sich nicht verändern kann. Wenn Sie eine Zigarre mit der Maschine herstellen, ist es nicht das gleiche Produkt.

Sébastien Decoppet (31) zog in jungen Jahren nach Honduras. 2015 gründete er die Zigarrenmarke Cavalier of Geneva, die heute in über 30 Ländern erhältlich ist. Vor zwei Jahren eröffnete der Genfer zusammen mit seiner Frau Eylin Decoppet, Brian Motola sowie einem Partner aus der honduranischen Zigarrenindustrie in Danlí eine eigene Zigarrenfabrik. Das Portfolio von Cavalier of Geneva bestand lange Zeit aus drei Linien sowie Small-Batch- und limitierten Serien. 2023 lanciert das Unternehmen nun die Marke Inner Circle, weitere Linien sind in Planung.

cavalier­cigars.com

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