cigar | Die letzte Zigarre auf Gnadenthal
Aus Cigar 2/2014
Geld & Geist

Die letzte Zigarre auf Gnadenthal

Zwischen Klosterfrauen und Pflegefällen — auf Kloster Gnadenthal wurden vor 100 Jahren Zigarren gedreht. Ob gute, das weiss man leider nicht mehr: Von der Fabrik ist jede Spur verschwunden. Zumindest fast.

Text: Falco Meyer
Fotos: Philippe Hubler

Nichts mehr da von der Zigarrenfabrik: Im Kloster Gnadenthal ist wieder Ruhe und Ordnung eingekehrt. Es war auch ein kurzer Ausflug in die Lebensfreude, den das Kloster da unternommen hatte. 13 Jahre lang, von 1876 bis 1889, stellte das Ehepaar Eschmannvon Mehrhart hier Zigarren her: im Klosterkeller gedreht vielleicht, im Estrich oder in den Zellen gelagert, wer weiss. Davon ist jede Spur verschwunden. Vor der Tabakfabrik war das Haus knapp 500 Jahre lang ein Zisterzienserinnen- Kloster, danach ein Pflegeheim, unter der Leitung der Ingenbohler Schwestern, und aus dieser Zeit gibts im hauseigenen Museum noch einige Spuren: stachelige Gurte für die Selbstkasteiung, Heiligenbilder und Bibeln. Aber die Zigarren? «Man weiss fast gar nichts mehr», sagt die Schauspielerin Salomé Jantz.

Glattes Tuch wirkt weniger tot
Jantz macht zusammen mit Gabriela Angehrn Führungen durch das Kloster. Und zwar nicht irgendwelche: in Tracht und Haube, wie die Zisterzienserinnen damals. So führen die beiden von der Rundgang-Agentur «Zwei zur Zeit» ihr Publikum, zeigen die schönen Klosterräume und den Krams im Estrich, den wunderbaren Kreuzgang und die Kirche, samt Knochen der heiligen Justa. «Ist sie nicht schön?», fragt Angehrn. Im Holzschränkchen neben dem Altar liegt die Heilige, eingepackt in feine Tücher und kunstvoll benäht mit Gold und Steinen, sie ist der Schatz des Klosters. Ihr Kopf und ihre Knochen wirken seltsam klein unter dem glatten Tuch, und weniger tot. «Diese Näharbeiten waren einer der Hauptexporte des Klosters», sagt Angehrn, «hier wurden viele Reliquien eingenäht.» Sie macht es gleich selber vor, mit einem echten Schädel. Die Besucher seien nicht schreckhaft: «Anfassen dürfen sie ihn zwar nicht. Aber gerade die Kinder finden das sehr spannend.» Und der Kopf ist nicht allein: In jeder Ecke des kleinen Museums im Kloster steht ein Armknochen hinter Glas, bepackt mit Edelsteinen.

«Dieses Pack»
Die einzigen Zigarren, die sich noch im Kloster befinden, sind die, die Jantz und Angehrn dabei haben – und sich gerade im Innenhof des Klosters anstecken, zwischen verdutzten Pflegeheimbewohnern. «Heut zünd ich mir einen Stumpen an», so heisst die Führung, die beiden spielen für die Besucher per Theater die Klostergeschichte nach. Und nehmen sich dabei die eine oder andere Freiheit heraus: Jantz gibt ganz die Dame von Welt, Frau Zigarrenproduzentin Eschmann-von Mehrhart, und beschwert sich unter schicker Perlenhaube und zwischen zwei Zügen an der Zigarre lautstark bei der letzten Klosterdame, Angehrn in Tracht und ebenfalls mit Zigarre. Sie klagt über die Randständigen, die rund ums Kloster nach Holz suchen: «Dieses Pack, wenn da Kunden kommen, das ist doch kein Bild.»

Keine Hochzeitsvermittlung
Die rauchende Klosterfrau hingegen ist ein gutes Bild. Die Ingenbohler Schwestern hätten so etwas niemals zugelassen. Im Pflegeheim war um die Jahrhundertwende schon Unruhe ausgebrochen, weil Patienten sich etwas zu nahekamen: Intime Spaziergänge nur zu zweit, das ging den Schwestern zu weit. «Gnadenthal ist keine Hochzeitsvermittlungsanstalt, hat damals eine Schwester geschrieben», erzählt Angehrn, «es hatten sich offenbar zwei Pärchen gebildet, von denen das eine sogar schon die Hochzeit plante.» Das geht natürlich nicht. «Man hat einem der Männer dann mitgeteilt, das Fräulein befände sich in der Pflege der Anstalt, und nicht in seiner.» Die fraglichen Pflegepatienten hätten sich entscheiden müssen: entweder die freundschaftlichen Spaziergänge ins Nachbardorf sofort zu unterlassen oder auszuziehen. Wie die Geschichte weiterging, das weiss man leider nicht.

Gabriela Angehrn (links) und Salomé Jantz

Tabak ja, aber nur für den Garten
Genauso, wie keiner mehr weiss, was aus den Überresten der Tabakfabrik geworden ist. Dabei müssen hier im Verlauf der 13 Jahre Tausende von Zigarren gedreht worden sein. Es gibt zwar immer noch Tabakpflanzen im Klostergarten, aber die sind, wie der Hanf, rein gärtnerischer Natur: «Wir machen Mulch damit», sagt Irene Briner, die Verantwortliche für Kultur im Pflegeheim Gnadenthal. Sie lacht. «Geraucht wird hier schon lange nicht mehr.» Es ist ein sonniger Tag, und der Reusspark, wie die Anlage rund um das Pflegeheim heute heisst, hat viel Kundschaft. «Irgendwann hat man das ‹Gnadenthal› weggelassen», sagt Briner, «es klang für moderne Ohren etwas armselig.» Das Pflegeheim ist heute sehr beliebt, kein Wunder, es ist schön gelegen, zwischen der Reuss und den Feldern ringsum. Beliebt war es allerdings nicht immer. «In den Anfängen des Pflegeheims hat es durchs Dach geregnet», erzählt Briner, «die Leute mussten trotzdem da wohnen, direkt unterm Dach. Sie hatten keine Wahl. Es waren arme Leute.»

Das Kloster wurde 1394 gegründet, es war von Beginn weg eher widerspenstig: Die Klosterfrauen unternahmen auch schon mal eine vom Bischof nicht erlaubte Pilgerfahrt nach Mellingen, ins Nachbardorf. Wirtschaftlich hatte das Kloster aber keinen Erfolg, genauso wenig wie die darauf folgende Tabakfabrik. «Diese hat offenbar nicht rentiert», sagt Angehrn, «und das 13 Jahre lang nicht.» Das Pflegeheim allerdings, das nach der Schliessung der Tabakfabrik hier vom Hilfsverein Gnadenthal gegründet wurde, das war schnell sehr voll: «Es waren doppelt so viele Pflegebedürftige hier in diesem Haus untergebracht wie heute in allen Gebäuden zusammen», sagt Briner.

Was steckt in der letzten Hülse?
Und dann machen wir im Museum doch noch einen Fund: Eine hölzerne Zigarren- Form gibt es da, um die gedrehten Zigarren in Form zu pressen. Und noch etwas: eine Metallhülse, aus Blech, ganz grün von all den Jahren, noch verschlossen. «Hat man die schon mal aufgemacht? », fragt Angehrn. Hat man nicht. Flugs den Hauswart gerufen, mit Schlüsseln die schwere Vitrine aufgeschlossen, getraut man sich? 100 Jahre Luft oder die letzte Zigarre von Gnadenthal?

Mit leisem Plopp geht die Hülse auf – die Zigarre ist schon lange aufgeraucht, in der Hülse nur noch etwas Staub. Das soll aber nicht die letzte Zigarre auf Gnadenthal gewesen sein: Jantz und Angehrn werden sich noch einige gönnen. «Und wer weiss, vielleicht werden wir ja mal von einer modernen Zigarrenmarke gesponsert», sagt Angehrn und lacht, «dann können wir auch endlich mal richtig gute Zigarren rauchen.»

Sie erzählen «Geschichte und Geschichten»: Die Schauspielerin Salomé Jantz und die Geschichtsvermittlerin Gabriela Angehrn von der Rundgang-Agentur «Zwei zur Zeit» entwerfen szenische Rundgänge für spezielle Orte. Und schauspielern sich dabei gleichzeitig durch amüsante Anekdoten und die spannende Geschichte der ehemaligen Bewohner. Der Rundgang im Kloster Gnadenthal ist einer von dreien, den das Team zurzeit anbietet, die anderen beiden finden auf Schloss Wildegg statt. «3x täglich Waden baden» heisst einer davon; er dreht sich um amüsante Heilpraktiken und Wellness aus dem 19. Jahrhundert. In «Monsieur, Ihr Haar sitzt schief» gehts um Puder, Perücken und die Französische Revolution.
www.zweizurzeit.ch

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