Interview und Fotos:
Gabriela Greess
Als Barack Obama überraschend Kuba besuchte, schien die Zeit endlich reif für die lang ersehnte US-Friedenspfeife. Mit wem würden Sie jetzt – in politisch frostigen Trump-Zeiten – Ihre persönliche Friedenszigarre rauchen?
Leonardo Padura: Als Privatmensch mit meiner geliebten Ehefrau. Mit ihr sitze ich Tag für Tag an einem Tisch. Manch mal geraten wir aneinander – und da hilft präventiv sicher eine diplomatische Friedenszigarre.
Und ausserhalb des Privatlebens?
Ich war nie in einer Partei. Meine MisÂsion als Schriftsteller hat nichts mit PoliÂtik zu tun, in der bei Kamingesprächen die KalkĂĽle der Macht auch mal bei einer guten Zigarre verhandelt werden. Mein Geschäft ist die Literatur; und in dieser hat ein politischer Diskurs keinen Platz. Ich schreibe Romane ĂĽber die soziale Realität von Kuba. Im Fokus stehen dabei menschliche Schicksale. Ich analysiere, wie sich im Fadenkreuz historisch einschneidender Ereignisse persönliche Dramen zuspitzen. Dabei ist die Fiktion mein ständiger Begleiter. Als Schriftsteller habe ich die Freiheit, der Realität meines Landes mit imaginären Mitteln eine neue spannende Dimension zu geben.
Dazu passt Ihr bevorzugtes Genre des Kriminalromans. Ein Beispiel aus Ihrem neuen Buch «Die Durchlässigkeit der Zeit»?
Der Erzählstrang reicht vom 21. JahrÂhundert bis in die Zeit der KreuzzĂĽge. Als fiktives Element diente mir die mitÂtelalterliche Skulptur einer schwarzen Madonna mit heilenden Kräften, die auf abenteuerlichen Wegen von Katalonien nach Kuba gelangte. Privatdetektiv MaÂrio Conde, Protagonist meiner Romane, ist hier mit einem Fall konfrontiert, der ihn genauso mit der kubanischen RevoÂlution wie auch den historischen KriegsÂzĂĽgen konfrontiert. Dabei setzt er auf die Kooperation mit seinem ehemaligen Kripochef. Dem hilft bei der Lösung kniffliger Fragen stets eine gute Zigarre.
Wann rauchen Sie eine Zigarre?
Am liebsten daheim in Kuba – umgeben von Freunden nach einem guten Essen. Manchmal auch unterwegs auf Reisen in Miami oder der Dominikanischen Republik. FĂĽr mich muss eine Zigarre perfekt ziehen, sie darf keineswegs zu trocken sein. Als Kubaner bin ich sehr anspruchsvoll, was die Qualität einer Zigarre betrifft. Ich rauche leichtere Habanos, zu meinen Favoriten gehören Romeo y Julieta. Meist bekomme ich guÂte Zigarren geschenkt. Selbst kaufe ich sie nicht, fĂĽr uns Kubaner sind sie sehr teuer. Puros, Rum und kubanische MuÂsik – das ist fĂĽr mich ein vollendetes Trio von Genuss. Gewohnheitsmässig rauche ich Zigaretten.
Was verbinden Sie mit der Schweiz, in der Ihr Verlag in ZĂĽrich beheimatet ist?
Die kleine Alpenrepublik im Zentrum von Europa hat eine spannende GeÂschichte und durchlebte auch revoluÂtionäre Phasen. Ich fĂĽhle mich aus gesprochen wohl im Tessin. Obwohl die Leute dort Italienisch sprechen, funktioÂniert die Mentalität nicht so kreativÂ-chaotisch wie in Italien, sondern eher wie ein exaktes Uhrwerk. Letztes Jahr war ich zudem zwei Wochen lang in LuÂzern zu Gast auf einer Schreibwerkstatt.
Fanden Sie dort die Inspiration fĂĽr einen neuen Roman?
Mir wurde bewusst, dass ich nicht in einem Umfeld schreiben kann, das zu streng organisiert ist. Es war alles schön in der Schweiz: wunderbare Menschen, Sauberkeit und perfekte Organisation, so wie ich es mir fĂĽr meine Heimatinsel oft erträume. Doch da kam mir die ErÂkenntnis: Ich brauche den Alltag Kubas mit seinen Herausforderungen, um die kreativen Quellen in mir zum Sprudeln zu bringen. Es geht um das mysteriöse Moment. Das erst setzt mir den Stachel ins Fleisch zum Schreiben.
Beschreiben Sie einen solchen Moment.
Es ist nichts, was einem einfach zuÂfliegt – wie der reife Apfel von einem Baum zur Erntezeit. Um es mit einem krassen Beispiel auszudrĂĽcken: Wenn ein Vater seinen Sohn umarmt, ist das ein gesundes StĂĽck Normalität. Wenn er ihn umbringt, ist das abscheuliche AbÂnormität. Als Romanschriftsteller brauÂche ich Abweichungen von der Norm – in ihren schönsten absurden Spielarten. Dramen sind mein Schreibfutter. Davon bietet mir mein Viertel – ja, ganz HavanÂna – mehr als genug. FĂĽr Recherchen reise ich mittlerweile in viele Länder. Aber wirklich authentisch schreiben kann ich nur daheim auf Kuba.
Leonardo Padura, geboren 1955, lebt und arbeitet in Havanna. Er ist einer der meist gelesenen kubanischen Autoren. Nach einem Literaturstudium arbeitete er zunächst als Journalist. International bekannt machte ihn die Krimireihe das «Havanna- Quartett». Protagonist ist ein Privatdetektiv, der als sympathischer Antiheld durch die kubanische Wirtschaftskrise der Neunzigerjahre laviert und genauso in der Welt von Kubas Neureichen wie im kriminellen Milieu von Havanna ermittelt. Mit hinter- gründiger Ironie reflektiert Padura die Stimmung im Kuba der «speziellen Periode». Mit seismografischem Gespür zeichnet er das Befinden seiner Landsleute auf und macht daraus ein literarisches Gesellschaftsepos. Die Geschichte der Tabakinsel mit ihren historischen Verbindungen – vom spanischen Katalonien bis zum einst grossen Bruder der Sowjetunion – wird von Padura durch spannende Einzelschicksale lebendig gemacht. 2012 bekam er den kubanischen Nationalpreis für Literatur; und das, obwohl seine Romane auf der sozialistischen Karibikinsel kaum bekannt sind. Denn ihre Auflage ist verschwindend gering. 2015 wurde er mit dem spanischen Prinzessin-von-Asturien-Preis ausgezeichnet und somit als einer der grössten zeitgenössischen Schriftsteller Lateinamerikas gewürdigt. Paduras jüngstes Werk «Die Durchlässigkeit der Zeit» erschien Anfang 2019 im Schweizer Unionsverlag.
www.unionsverlag.com