cigar | Wir sind kein Museum
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Tim-Martin Weber

Wir sind kein Museum

Das Zigarrenangebot im FĂĽnf-Sterne-Haus The Chedi ist in der Hotellerie weltweit einzigartig. FĂĽr Aficionados sei das mittlerweile ein Grund, nach Andermatt zu reisen, sagt Vizedirektor Tim-Martin Weber.

Interview: Tobias HĂĽberli
Fotos: Njazi Nivokazi

Das The Chedi Andermatt ist das Hotel mit dem weltweit grössten Angebot an Pre­miumzigarren. Und Sie sind schuld daran.
Tim-Martin Weber:
Stimmt, das Thema Zigarren ist seit vielen Jahren ein grosses Hobby von mir. Zudem fand ich hier die richtigen Mitarbeiter, die Lust auf ein solches Projekt hatten.

Wie weit war der Weg dahin?
Als ich vor gut vier Jahren ins The Chedi kam, hatte das Haus eine grosse Cocktail-Kompetenz, die grösste Auswahl an Sake in Europa sowie eine riesige Whisky-Sammlung, und darauf konzentrierte man sich. Zigarren waren Beiwerk. Im Humidor lagerten etwa 15 Formate, die Hälfte davon war kaputt, weil die Technik zwar gebaut worden war, aber nie richtig lief. Alles, was man bei einem Humidor falsch machen kann, wurde hier verwirklicht. Eine kleine Lounge und ein riesiger Humidor, der nicht funktionierte: Das war unsere Ausgangsposition.

Was hat Sie angetrieben?
Ich hatte einfach Bock auf Zigarren. In den meisten Hotels werden die Raucherlounges, wenn es denn eine gibt, stiefmütterlich behandelt, oft fremdbetreut. Da sind dann Standardzigarren aus Kuba drin, oft das Davidoff-Sortiment: ein paar Avos, Griffins und Camachos, und so weiter. Alle paar Monate kommt jemand vorbei, schaut nach, ob die Zigarren noch halbwegs okay sind. Der Hotelier oder Gastronom schlägt überall viele Franken darauf und das wars. Wenn sich tatsächlich mal ein Aficionado dorthin verirrt, bringt er eigene Zigarren mit, weil das vorhandene Sortiment komplett überteuert und leider oftmals suboptimal gelagert ist. Ich wollte das Gegenteil davon.

Erzählen Sie.
Wir haben das beste asiatische Restaurant der Schweiz sowie die grösste Sake-Auswahl Europas. Und da ich als Grossmaul nur grossspurig kann, sagte ich mir: Für die Zigarren erarbeiten wir uns jetzt einmal einen weltweiten Titel.

Wie gingen Sie vor?
Wir fingen locker an, erst mit 70 Zigarren, dann 120 und 160, damit man ein Standardsortiment hat. Es muss alles repräsentiert sein, keiner kriegt einen Vorzug. Niemand sollte auf die Idee kommen, wir seien eine Davidoff-
Lounge oder ein Habanos Point. Man muss sehen, dass wir eine komplett eigene Handschrift haben, dass da Leute sind, die sich echt Gedanken machen und gezielt aussuchen.

Wer trifft diese Auswahl?
Am Anfang ich, mittlerweile sind das ausgewählte Spezialisten aus unserem Team; sie können frei entscheiden. Seit ungefähr einem Jahr konzentriere ich mich fast nur noch auf die Raritäten. Natürlich habe ich mich jetzt nicht durch alle Zigarren eines Herstellers geraucht, aber ich lese mich ein. Und was bei uns reinkommt, habe ich auch geraucht. Durch mein Kuba-Faible haben wir mittlerweile 60 Prozent Habanos. Aber eigentlich wollte ich die 50-Prozent-Grenze nicht überschreiten. Man muss aber sehen, dass da neben den Standardkubanern auch viele Raritäten drin sind.

Wie unterscheidet sich die Zigarrenlounge vom The Chedi nun vom Rest
Zuerst einmal darf man auch Zigarette rauchen. Diese Gäste werfen wir nicht raus, weil irgendein Winston Churchill meint, dass sich das nicht schickt. Wir erlauben jedem Gast seinen individuellen Genussmoment. Man darf seine eigenen Zigarren mitnehmen, ohne Aufschlag oder Mindestkonsum. Oder man kann unsere perfekt gelagerten geniessen, darunter Zigarren, die Sie ganz sicher noch nie geraucht haben. All unsere Longfiller verkaufen wir zum Handelspreis. Ausnahme bilden die kubanischen Raritäten, dort gilt der Marktpreis. Jetzt kann es passieren, dass wir einfach genial eingekauft haben. Zum Beispiel die Cohiba Pyramides Extra, eine Standardzigarre, die seit zweit Jahren praktisch fast nicht mehr erhältlich ist. Die verkaufen wir zum damaligen Banderolenpreis. Wenn wir Longfiller günstig kaufen, können wir sie auch günstig weitergeben. Wir haben auch so unsere Marge und wollen nicht übertreiben.

Die Sammlung an kubanischen Raritäten ist beeindruckend.
Chedi bedeutet ja Spitze des Tempels. Und wir wollen ein Genusstempel sein. Wir haben mitunter die geilsten Cocktails, eine der besten Weinkarten der Schweiz mit gut 1800 Positionen. Den gleichen Anspruch haben wir mit Zigarren. Aber wir sind kein Museum. Die Sachen sind zum Rauchen da, nicht zum Anschauen. Ich möchte, dass gestan­dene Aficionados, die seit 30 Jahren vier Sticks täglich rauchen und zu Hause für 100 000 Franken Zigarren lagern, bei uns Stücke entdecken, die sie nur von Bildern kennen.

Wie viel haben Sie in den letzten Jahren in Zigarren investiert?
Schwer zu sagen. Der derzeitige Marktwert liegt – auch aufgrund der teils erheblichen Preissteigerungen und der überschaubaren Beschaffbarkeit – bei etwas über einer Millionen Franken. Nun war es nie Sinn und Zweck, alleine mit dem Produkt Zigarre Geld zu verdienen. Niemand wird in einer solchen Lounge mit Longfillern reich, ausser man würde genügend Masse mit anderen Verkaufskanälen machen. Wir erzielen nur deswegen einen guten Gewinn, weil wir eben auch viele Raritäten verkaufen. Da befinden wir uns eigentlich schon länger im Investment-Bereich. Wir sind auch bekannt dafür, extrem seltene Subasta und Spezial­humidore zu öffnen und es Liebhabern so zu ermöglichen, diese einzeln zu geniessen. Was auf keinen Fall sein darf in unserem Konzept, ist, dass wir eine bestimmte Zigarre nicht haben. Deshalb haben wir rechtzeitig zu guten Preisen eingekauft.

Wie beurteilen Sie die Preisentwicklung kubanischer Zigarren?
Es konnte vor mittlerweile zwei Jahren keiner voraussehen, dass die Situation in Kuba sich so schwierig entwickelt. Die Wertzuwächse sind beinahe krank. Trotzdem machen wir die Kisten auf und rauchen sie. Niemand kommt auf die Idee, eine Kiste Cohiba Majestuosos zu öffnen und tatsächlich zu rauchen. Ich mache das, weil es dazugehört. Klar kostet die Zigarre dann 1500 Franken. Aber der aktuelle Marktpreis dieses Humidors beträgt bereits weitaus mehr, als die 20 Zigarren bei uns einzeln kosten. Ein Aficionado, der Ahnung hat, findet bei uns 20 bis 25 Positionen, die absolute Schnäppchen sind.

Wann wird sich die VerfĂĽgbarkeit von Habanos bessern?
Ich hoffe, dass die Produktion der Standardzigarren in zwei Jahren wieder einigermassen normal läuft. Zurzeit sind ja alle bis auf wenige Formate ausverkauft. Wir haben das vorausgesehen, unser Keller ist voll. Wir führen alles, nicht nur die Raritäten, sondern auch das gesamte Standardsortiment. Dazu sämtliche Reservas, Gran Reservas, alle Ediciónes Limitadas – darunter auch die äusserst seltene Particulares Hoyo de Monterrey 2001– die je produziert wurden. Dazu kommen weit über 100 verschiedene Ediciónes Regionales und viele Colección Habanos.

Gibt es Gäste, die extra wegen dem Zigarrenangebot ein Zimmer buchen?
Kürzlich begrüsste ich ein junges Pärchen aus London bei uns. Wir kamen ins Gespräch und er erzählte, dass seine Freundin schon lange herkommen wollte. Er selbst habe bis jetzt den Sinn darin nicht so gesehen. Allerdings falle der Name The Chedi seit einem hal­ben Jahr immer öfter, wenn im Zigarrenclub des Bulgary Hotels in London über die richtig raren Zigarren diskutiert werde. Der Tenor laute, dass man dafür entweder auf eine Auktion warten oder ins The Chedi zu Tim reisen müsse.

Sie sind inzwischen eine Kapazität auf dem Gebiet kubanischer Raritäten.
Echte Luxushotellerie besteht für mich – und dafür wurde ich auch eingestellt – aus Storytelling. Ich bin ein Ge­schichtenerzähler. Und dafür braucht man Fleisch am Knochen, muss sich viel Wissen aneignen, viel lesen, ansehen, vielen Leuten zuhören. Es braucht Erlebnisse mit anderen Zigarrenrauchern im Netzwerk, damit man lustige Geschichten erzählen kann.

Noch ein Wort zum Chedi Cigar Circle: Ein verrĂĽcktes Konzept, um es vorsichtig auszudrĂĽcken.
Mit dem Chedi Cigar Circle haben wir versucht, völlig neu zu denken. Wenn ich etwas mache, dann muss es einschlagen. Bis jetzt haben wir vier Circles durchgeführt. Und ja, wir haben viel Geld investiert: Jeder Gast kriegte eine Suite, dazu ein 21-Gänge-Dinner, besten Wein, Spirituosen, Zigarren und so weiter. Mittlerweile verkaufen wir das Format. Aber sowas muss man zuerst ein paar Jahre durchhalten. Nur so entwickelt sich ein Name, und irgendwann passiert es, dass jemand morgens aufwacht und sich sagt: Ich muss ins The Chedi.

Tim-Martin Weber ist seit 20 Jahren in der Welt der High-End-Hotellerie unterwegs. Vor über vier Jahren übernahm der 45-Jährige im Fünf-Sterne-Hotel The Chedi in Andermatt die Position des stellvertretenden Direktors. Unter seiner Ägide wurde das Zigarrenangebot des Hauses massiv ausgebaut. Es umfasst mittlerweile mehr als 900 verschiedene Positionen. Das bedeutet in der Hotellerie: Weltrekord.

thechediandermatt.com

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