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Aus Cigar 3/21
Kuba

Alles noch viel schlimmer

Weltweit wird der Nachschub an kubanischen Zigarren spärlicher und spärlicher. Jetzt hat die Knappheit die Schweiz erreicht. Cigar hat nach den Gründen geforscht und blickt auf die kommenden Monate.

Text: Florian Schwab
Fotos: Tobias HĂĽberli

Derzeit bereitet der Besuch im Fachgeschäft dem Havanna-Freund kein Vergnügen. Eine Cohiba zu ergattern, selbst im Basisformat Robusto, gerät zunehmend zur Lotterie. Die zweite postrevolutionäre Premiummarke, Trinidad, macht sich rar und rarer. Vielerorts ist sie vergriffen. Sogar auf Standardformate wie Partagás D4 oder Romeo y Julieta Churchill ist nicht mehr überall Verlass.

Der Zigarren-Sommelier eines Zürcher Hotels, der namentlich nicht genannt werden möchte, – die Havanna-Abteilung seines Humidors bietet einen kläglichen Anblick – spielt mit dem Gedanken, die Kubaner vorläufig ganz aus dem Sortiment zu nehmen. «Wenn ich den Nachschub nicht organisieren kann, muss ich sie von der Karte streichen.» Warum nicht einfach auf jene Sorten umstellen, die es noch hat? «Ich rechne damit, dass die Lieferschwierigkeiten sich auf das ganze Sortiment ausdehnen.» Das zeige die Erfahrung der vergangenen Monate.

Das Unglück kam mit Ansage. Es frass sich sich von den weniger entwickelten Märkten immer weiter ins Zentrum der Zigarrenwelt vor: Europa und Asien. Blenden wir zurück in den vergangenen Februar, als die Regale in der Schweiz noch leidlich gut gefüllt waren: Ob er irgendetwas an Cohiba habe oder irgendwelche Limitadas? Der Verkäufer im ersten Zigarrengeschäft der kolumbianischen Anden-Metropole Medellín lächelt verzweifelt. Nein, Cohiba sei seit Monaten ausverkauft. Vor Ausbruch der Pandemie hatte man in ­Kolumbien durchaus auch seltene Sorten erwerben können.

Drei Monate später, Mai 2021. Ein weiterer Datenpunkt auf der Abwärtsspirale: Die Duty-Free-Humidore der Flughäfen Zürich-Kloten und Madrid-Barajas. Die Auswahl fällt an beiden ­Orten unspektakulär aus. Sorten, die normalerweise eher ein Ladenhüter-Dasein führen, nehmen plötzlich viel Raum ein und stehen im Zentrum. Die Blockbuster Partagás D4 und Cohiba Robusto sind zwar noch erhältlich, aber eher spärlich. Ganz trist sieht es auf den Kanarischen Inseln aus, vor der Pandemie aufgrund des Tourismus und eines besonderen Steuerregimes ein florierender Habanos-Standort. Hier haben etliche Fachgeschäfte für immer geschlossen. Edlere Modelle sind höchstens noch in Tubos erhältlich. Die Nachfrage, ob es beim Importeur noch Cohiba-Kisten gebe, ergibt nach einigen Abklärungen die Antwort: keine einzige.

In der Schweiz wurde das Problem erst im Sommer richtig virulent. Wer nicht als Casa del Habano exklusiv ­kubanische Zigarren verkauft oder sich als Habanos Specialist mit der Importgesellschaft Intertabak gut gestellt hat, erhält seit zwei oder drei Monaten so gut wie keine Ware mehr. In die Casas del Habano und zu den Habanos Specialists kommt zwar noch etwas. Die verfügbaren Modelle und Mengen werden aber auch hier zusehends kleiner.

Was ist der Grund für die sich verschärfende Lage? Cigar hat mit Quellen aus der Schweizer Havanna-Welt und auf Kuba gesprochen. Fachkundige Schätzungen besagen, dass die Produktion derzeit etwa auf der Hälfte ihrer Kapazität läuft. Grund dafür ist die ­Pandemie. Wie man hört, wurde in den Fabriken vor über einem Jahr social ­distancing eingeführt. Wer schon einmal die räumlichen Verhältnisse einer kubanischen Manufaktur gesehen hat und versucht, diese mit einem Zweimeter-Abstand in Einklang zu bringen, kommt zum Schluss, dass vermutlich nur die Hälfte der Arbeitsplätze besetzt werden kann. Das deckt sich mit Schilderungen aus Kuba. Zwar hat das kubanische Produktions-Monopol Cubatabaco mit der Einführung von Samstagsarbeit und des Mehrschicht-Betriebs Gegensteuer gegeben. Dies kann die Einbussen aber nur teilweise abfedern. Allein der Distanz-Faktor dürfte also mindestens einen Drittel der Produktion kosten.

Das Problem akzentuiert sich mit jedem Covid-Ausbruch in einer Fabrik. Erkrankt eine Rollerin oder ein Roller, dann wird, wie man hört, die ganze galera, also das aus 25 Personen bestehende Team, für eine Woche in Quarantäne geschickt. Im schlimmsten Fall wird die Fabrik ganz geschlossen. So soll es der Fabrik La Corona in Havanna monatelang ergangen sein. Ein weiterer Pandemie-Einfluss: Alleinerziehende Mütter sind offenbar von der Arbeit dispensiert, um sich um ihre Kinder kümmern zu können. Die Schulen sind nämlich nach wie vor geschlossen. Hinzu kommt, dass es auf Kuba schon zu ­normalen Zeiten eher zu wenig Rollerinnen und Roller gibt. Die ­Fabriken können also das ausfallende Personal nicht einfach ersetzen. Das schlägt sich dann direkt in der Produktion nieder.

Gemäss sämtlichen Quellen ist die derzeit fehlende Arbeitskraft in den Manufakturen der wichtigste Faktor. Hinzu kommen dem Vernehmen nach Nachschub-Probleme bei jenen Gütern, die Cubatabaco aus dem Ausland bezieht: den Kisten (teilweise aus China) und Banderolen (aus den Niederlanden). Auch Pflanzenschutzmittel und andere Hilfsmittel für die Tabakproduktion werden zu einem guten Teil importiert. Aber die Transportkosten sowohl für deren Einfuhr als auch für den Export der Zigarren per Schiff nach Europa und Asien haben sich seit März 2020 in etwa vervierfacht. Höhere Importkosten bei halbiertem Absatz: Ob Habanos S.A. und Cubatabaco derzeit noch profitabel wirtschaften, steht in den Sternen. Vor Ausbruch der Pandemie war der Zigarren-Export einer der wichtigsten De­visen-Lieferanten für die kubanische Regierung. Dass nennenswerte finanzielle Rücklagen bestehen, darf somit bezweifelt werden.

Der Blick auf die nächsten Monate verheisst keine Besserung. Anfang September vermeldet die Insel mit 11 Millionen Einwohnern täglich gegen 10 000 Covid-Fälle. Es ist ein Höchststand – dreimal so viel wie derzeit in der Schweiz (Stand: 6. September) und gleich viel wie auf dem Höhepunkt der zweiten Welle in der Schweiz im vergangenen November, bevor der zweite Shutdown folgte. Bis im vergangenen Juni war die Entwicklung mit unter 1500 täglichen Fällen auf Kuba leidlich unter Kontrolle gewesen.

Wenn sich das Pandemie-Geschehen weiterhin direkt auf die Produktion überträgt, wird sich diese in den nächsten Monaten nicht erholen. Im Gegenteil, dann wird es erst noch viel schlimmer, bevor es vielleicht wieder besser wird.

Einen kleinen Lichtblick gibt es: Da Habanos S.A. nirgends auf der Welt eine höhere Marge realisiert als hier­zulande, wird der helvetische Markt ­bevorzugt beliefert. Neben den gut gefüllten Lagern des Importeurs war dies der Hauptgrund, weshalb die Knappheit erst am Schluss auf die Schweiz durchgeschlagen hat. Solange Kuba noch produziert, müssen Schweizer Aficionados also nicht ganz auf Havanna-Zigarren verzichten.

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