Text und Fotos: Tobias Hüberli
Die Uhr im Konferenzsaal vier des Palacio de las Convenciones zeigte fünf nach drei nachmittags. Ob seit gestern, seit vorletzter Woche oder seit den späten Achtzigerjahren, war dabei nicht ganz klar. Sicher ist: Die offizielle Pressekonferenz zum 24. Festival del Habano begann einigermassen pünktlich, um elf Uhr morgens. Mit rauchender Havanna in der Hand informierte José María López Inchaurbe, Vizepräsident von Habanos SA, die zahlreich angereisten Journalisten über das bevorstehende Programm.
Ins Zentrum dieses Festivals rückten die Verantwortlichen zwei eher junge Marken, nämlich die in den Siebzigerjahren für den französischen Markt lancierte Quai d’Orsay sowie Trinidad, die Ende der Sechzigerjahre den Brand Cohiba als DiplomatenZigarre ablöste und erst 1998 der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Konkret präsentierte Habanos jeweils eine neue Vitola für Quai d’Orsay und Trinidad sowie drei neue Limitada-Ausgaben.
Label für Vintage-Zigarren
Darüber hinaus sprach Inchaurbe über das neue Vintage-Label, mit dem man das grosse Interesse in Europa und Asien an gereiften Habanos zu befriedigen (und monetarisieren) gedenke. Neu werden Zigarren, die fünf, zehn, 15 oder 20 Jahre alt sind, mit einem Zusatzband gekennzeichnet. Den Anfang machte ein imposanter Humidor (von S. T. Dupont) gefüllt mit 55 zehnjährigen Trinidad Fundadores. Weltweit sollen 1000 Stück davon in den Verkauf gelangen. Nun fragen sich Zigarrenkundige zu Recht, wo her die Kubaner plötzlich Unmengen eines seit Jahren kaum erhältlichen Formats reifegelagert aus dem Hut zaubern. Die Antwort oder zumindest eine mögliche Erklärung ergab sich im Verlauf des Festivals.
Demnach rechnete Habanos SA vor rund 15 Jahren noch mit realistischen Chancen, dereinst den US-amerikanischen Markt beliefern zu können, und begann, entsprechende Lagerkapazitäten aufzubauen. Nach mehreren übereinstimmenden Quellen soll dieses Lager derzeit rund 30 Millionen Zigarren beinhalten. Daraus gespeist wurden in der Vergangenheit auch schon die in loser Folge lancierten Añejado-Serien etwa von Partagás oder Romeo y Julieta. Neu soll das Lager für das Vintage Programm verwendet werden.
Zahlen zum Geschäftsgang waren an der Pressekonferenz spärlich gesät. Der Umsatz stieg 2023 um 31 Prozent auf 721 Millionen US-Dollar, ein Rekord, wo bei die Preiserhöhungen für das Resultat mitverantwortlich sind. Wichtigster Absatzmarkt ist China, gefolgt von Spanien und der Schweiz. Bei den verkauften Stückzahlen liegt die Schweiz auf dem fünften Platz. Sie gehörte 2023 zu den am besten belieferten Märkten weltweit.
Weitere Kennzahlen musste man sich in zahlreichen Gesprächen mit Verantwortlichen von Habanos selbst zusammenreimen. So war die Marke Cohiba für über die Hälfte des Gesamtumsatzes verantwortlich. Mit 14 Millionen Zigarren betrug der Anteil der Marke an der Gesamtproduktion aller dings nur rund 25 Prozent. Ermittelt werden konnten auch die jährlichen Produktionszahlen von Cuaba (500 000 Stück) sowie von Hoyo de Monterrey (zwei Millionen Zigarren).
Ein Land in der Krise
Die Aussichten für die kubanische Zigarrenproduktion sind trotz Umsatzrekord durchwachsen. Die wirtschaftliche Situation hat sich im Verlaufe des Jahres weiter verschlechtert. Im März gab es auf dem Schwarzmarkt 300 kubanische Pesos für einen Dollar. Vor einem Jahr lag der Kurs noch bei 180 Pesos. Die Löhne der Menschen haben sich in den letzten zwölf Monaten durch die Inflation fast halbiert. In der Zigarrenfabrik La Corona in Havanna verdienen Rollerinnen und Roller bis zu 45000 Pesos monatlich. Das übersteigt den Lohn eines Chirurgen zwar um das Vielfache, zum Leben reicht es trotzdem nicht. Die Konsequenz ist eine massive (und andauernde) Migration. In den letzten zwei Jahren wählten an die 500 000 Kubaner den Gang ins Exil. In den Fabriken wurden die Ausbildungsprogramme für Torcedores zwar hochgefahren, zumindest in La Corona konnte das neue Personal die Abgänge aber nicht kompensieren.
Etwas entspannter scheint die Situation bei den Tabakbauern in der Provinz Pinar del Río. Die Inflation ist zwar auch dort ein Problem, da die Preise für den Tabak vor der Aussaat fixiert und in den folgenden Monaten durch die Inflation teilweise aufgefressen werden. Dafür wurden die durch den Hurrikan Ian im Herbst 2022 angerichteten Schäden (insbesondere die zerstörten Trocken schuppen) grösstenteils behoben. Tatsächlich scheinen die Lager ansprechend gefüllt. Laut den Verantwortlichen wäre Tabak für eine Jahresproduktion von bis zu 80 Millionen Export-Zigarren vor handen, die angespannte Personalsituation in den Fabriken lasse aktuell aber höchstens 60 Millionen zu.
Mit Argusaugen verfolgen Importeure und Händler die (noch immer unklare) Strategie des chinesischen Konsortiums, das seit 2020 die Geschicke der Marketing und Vertriebsorganisation Habanos SA leitet. Unter der Ägide der neuen Besitzer wurden die Preise für Havannas in mehreren Schritten zum Teil massiv erhöht. Ziel ist es, kubanische Zigarren im Luxusmarkt zu etablieren, wohl nicht zuletzt, um das Investment von rund einer Milliarde Euro wieder reinzuholen. Bislang scheint die Rechnung aufzugehen. Weltweit gibt es genug vermögende Menschen, die sich die zwar verteuerte, aber stets knappe Ware leisten können und wollen.
«Seit einigen Jahren setzt Habanos seinen Fokus klar auf die asiatischen Märkte», sagte Louis Charles Lévy, Verwaltungsrat des Schweizer Importeurs Intertabak. Dass es Habanos ernst meint mit der Monetarisierung, zeigt sich auch im Entscheid, Märkte mit Vertriebsstrukturen, die nicht komplett in ihrem Besitz sind, künftiger weniger gut zu beliefern.
Hohe Summen an der Gala
Die traditionelle Versteigerung an der Noche de Gala am Festival-Freitag mündete ebenfalls in einem Rekord. Insgesamt kamen sieben Sonderhumidore für über 17 Millionen Euro unter den Hammer. Allein der Humidor von Cohiba löste einen unglaublichen Auktionspreis von 4,2 Millionen Euro. Zum Vergleich: 2017 kam das mit Zigarren der gleichen Marke gefüllte Möbel für 380 000 Euro unter den Hammer.
Neu erhielt jeder Käufer eines Humidors die Möglichkeit, zusätzlich kubanische Zigarren seiner Wahl zu kaufen, und zwar im Gegenwert des Auktionspreises. Damit allein lassen sich die absurd hohen Bieterpreise indes nicht erklären. Vielmehr prallen an der Versteigerung jeweils die einzelnen Machtblöcke der kubanischen Zigarrenwelt aufeinander. Nach offizieller Version landet der Erlös aus der Auktion im kubanischen Gesundheitssystem, ganz sicher aber beim Staat. Der Erwerb eines Humidors beschert Importeuren und Händlern nicht nur Ruhm, sondern indirekt einen gewissen Einfluss. Kein Wunder, stammt der Käufer des teuersten Cohiba-Humidors aller Zeiten auch aus dem direkten Umfeld der chinesischen Besitzerschaft von Habanos.
Die Festivalzigarren im Überblick
Zum 50-Jahre-Jubiläum der Marke Quai d’Orsay präsentierte Habanos das neue Format Especial d’Orsay (21 × 153 Millimeter). Das Galadinner stand dann im Zeichen des 55-Jahre-Jubiläums von Trinidad. Präsentiert wurde das Format Trinidad Robustos Extra (19,8 × 155 Millimeter). Ebenfalls angekündigt wurden die Romeo y Julieta Short Churchills Reserva Cosecha 2019 und die Ediciones Limitadas 2024 von Trinidad (Cabildos), Ramón Allones (Absolutos) und H. Upmann (Magnum Finite).
Spitzenpreise für Sonderhumidore
Neben kleineren Stücken kamen an der Galanacht sieben Sonderhumidore unter den Hammer. Das mit 350 Zigarren gefüllte Stück von H. Upmann löste zwei Millionen Euro, die an ein Möbel erinnernde, mit 375 Zigarren gefüllte Ausgabe von Hoyo de Monterrey kostete 1,15 Millionen Euro. Für die 400 Zigarren von Romeo y Julieta wurden 1,6 Millionen Euro fällig, derweil für den Partagás-Humidor (425 Zigarren) zwei Millionen Euro bezahlt wurden. Den gleichen Betrag berappte ein Käufer für das Stück von Montecristo (450 Zigarren). Rekorde gebrochen wurden dann für den Humidor von Trinidad (3,8 Millionen Euro, 450 Zigarren) sowie Cohiba (500 Habanos für 4,5 Millionen Euro).