cigar | Vom Wort, das Fleisch wird
Aus Cigar 4/2020
Literatur

Vom Wort, das Fleisch wird

Zigarren transportieren den Schriftsteller Gion Mathias Cavelty in andere Welten, die Schauplätze seiner Bücher. Ein Gespräch über das Alles im Nichts, tanzende Mäuse und irre Träume.

Interview: Tobias Hüberli
Fotos: Njazi Nivokazi 

Bei Ihnen weiss man nie so genau, ob Sie es ernst meinen.

Gion Mathias Cavelty:
Als Satiriker muss ich mich von Berufs wegen über alles lustig machen. Eigentlich tut mir das im Herzen weh. Denn ich wünschte, ich würde endlich etwas finden, worüber man sich nicht lustig machen kann. Mein grosses philosophisches Vorbild ist die Grinsekatze aus «Alice im Wunder­ land». Die sagt: Ich bin verrückt, du bist verrückt, sonst wären wir gar nicht hier. Das leuchtet mir ein.

Inwiefern?
Die Welt, in der wir leben, ist eben ge­nau deshalb so verrückt, weil sie nach starren Regeln funktioniert. Man muss die Gesetze dieser Welt akzeptieren, sonst geht man drauf. Wenn man von einem Berg runterspringt, wird man das ziemlich sicher nicht überleben. Das wollte ich nie.

Von einem Berg springen?
Im Prinzip gehts um den Tod, das erns­teste Thema überhaupt. Als kleiner Jun­ge hatte ich eine Tanzmaus. Sie litt an einem Hirndefekt und drehte sich den ganzen Tag auf ihren Hinterbeinen im Kreis. Eines Morgens lag sie leblos im Käfig. Da wurde mir schlagartig klar, dass ich die Welt mit ihren Gesetzen ab­ lehnen muss. Denn sogar, wenn man alle Gesetze brav befolgt: Am Schluss ist man tot.

Und so wurden Sie mit sieben Jahren Satiriker?

In dem Sinne, dass ich nichts vom dem, was da ist, akzeptieren wollte. Ich war mit meiner Geburt in dieses Labyrinth geworfen worden, ohne vorher unter­ schrieben zu haben, dass ich da über­haupt mitmachen will. Mein Ausweg: mich darüber lustig machen.

Das Thema Schöpfung zieht sich durch Ihre Bücher. Was fasziniert Sie daran?
Als ich Ministrant bei Bischof Haas war, kam ich mit der Theorie des falschen Gottes in Berührung. Die Idee der Gnos­tiker besagt, dass die Schöpfung das Werk eines Pfuschers sei. Sie nennen ihn den kindischen oder den Idiotengott, der sich allerdings für den richtigen Gott hält. Was, wenn hinter der Welt mit all ihren Begrenzungen ein Idiot steckt? Da­ gegen muss man sich wehren. So schlug mein satirischer Ansatz in Realität um. Ich wollte eine Gegenwelt schaffen.

Ist Ihnen das gelungen?
Mein erstes Buch handelt von einem namenlosen Protagonisten, der mit einem Priester, einem Physiklehrer, einer Pianistin und einem schwarzen Pudel in einem Turm wohnt. Der Pries­ter versucht, ihn für seine vorgefertigte Philosophie zu gewinnen, der Physiker für seine rationale Welt und die Pianis­tin für die starren Regeln der Kultur. Letztlich folgt er dem Pudel auf den Est­rich, dem Freidenker. Auf den letzten Seiten beschliesst er, Poet zu werden.

So wie Sie als 22-Jähriger.
Tatsächlich wurde ich, kaum hatte ich die Geschichte geschrieben, selbst zum Poeten. Das Wort wurde quasi Wirk­lichkeit, oder wie es im Johannes­-Evan­gelium heisst: Das Wort ist Fleisch geworden. Rein mit meinen Gedanken, die Worte wurden, wurde Realität daraus. Das hat mich fasziniert. Die Gegen­welt, die im Kopf entsteht, war plötzlich da, bewirkt vielleicht etwas in der Wirklichkeit. Das war mein grosser Gedanke, bis ich feststellte, dass auch Bücher end­lich sind, im Antiquariat verschwinden, verstauben und vermodern.

Ein anderes zentrales Thema in Ihrem Leben ist das Rauchen.
Beim Schreiben meines ersten Buchs rauchte ich noch wie blöd, 80 Zigaretten am Tag. Da merkte ich, wie gut mir Nikotin tut. Das Hirn ist damit auf ganz anderen Touren. Wie mit dem Weih­rauch, der an den Pontifikalämtern von Bischof Haas reichlich eingesetzt wur­de, gelangte ich beim Rauchen in ge­dankliche Welten, die ich sonst nicht bewusst erreiche. Seit ich Zigarren rau­che, habe ich das wieder. Sie bescheren mir die irrsten Träume. Und die gefallen mir deshalb so gut, weil sie mit der Rea­lität nichts zu tun haben. Letzthin habe ich nach dem Genuss einer Maria Man­cini von sieben gigantischen Büchern geträumt, die so gross waren, dass sie an einem Kran hingen. Niemand konnte sie öffnen, dermassen riesig waren sie.

In Ihren Gegenwelten erkennen viele Leute eine Gesellschaftskritik, etwa wenn sich die Auberginen zur Herrenrasse aller Gemüse emporheben. Ist das gewollt?
In diesem Fall schon. Aber eigentlich lehne ich alle Schriftsteller ab, die sich in eine moralische Instanz verwandeln. Die arbeiten sich brav an einer Realität ab, die mich gar nicht interessiert.

Haben Sie sich deshalb für ein Jahr als Journalist beim Blick verpflichtet?
Ich wollte einfach mal zu den Boule­vardmedien, weil dort das Wort mit den Füssen getreten wird, salopp gesagt. Ich bewarb mich damals auf eine frei ge­wordene Stelle als Volksmusik­, Schla­ger­ und Brauchtumsexperte.

In der Folge schrieben Sie ein kurioses Stück Journalistengeschichte.
Für meinen ersten Auftrag sollte ich die Geburtstagsparty von Sänger Piero Es­teriore besuchen. Ich wehrte mich, weil ich lieber um 17 Uhr nach Hause gegan­gen wäre, aber es half nichts. Ich merkte schnell, dass der Anlass bloss eine ver­ kappte CD-­Promotion war. Esteriore sang dann auch, mit ihm die ganze Fa­milie, alle waren schwarz angezogen, Handkuss hier, Handkuss da, so wie man es aus Mafiafilmen kennt. Ich schrieb: «Was wirkt wie eine Mafia­beerdigung, ist eigentlich der 30. Ge­burtstag von Piero Esteriore.»

Was passierte dann?
Am Mittwoch erschien der Artikel. Um Viertel vor zehn erhielt ich im Büro einen anonymen Anruf. Eine Stimme sagte, man werde mir die Eingeweide raus­ und die Eier abreissen. Ich ging zum Chefredaktor und fragte, ob es beim Blick normal sei, dass man am dritten Tag eine Morddrohung kriegt. Er meinte: «Eigentlich nicht.» Ich verliess kurz das Gebäude, um eine Besorgung zu machen, als ich einen Anruf vom Büro auf mein Handy erhielt. Man sagte mir, ich solle heute besser nicht mehr zurückkommen. Gerade eben sei Piero Esteriore mit dem Mercedes seiner Mut­ter in den Eingang gekracht, und man könne für meine Sicherheit nicht garan­tieren. Das war bis jetzt mein grösster Triumph. Da zeitigte mein Wort in der Realität wirklich einen Effekt.

Wie findet sich jemand wie Sie in der normalen Welt zurecht?
Das geht nur, indem ich der langweiligs­te und grösste Spiesser der Welt bin. Ich habe noch nie Drogen genommen. Zigarren sind das Wildeste für mich.

Diesen Eindruck vermitteln Sie, mit Verlaub, nur bedingt.
Ich gebe mir alle Mühe, dass die Leute etwas anderes von mir denken. Zum Beispiel mit meinen Tattoos, die ich überall habe. Ich will ein lebendiges Buch werden. Das Wort soll ja Fleisch werden. Auf meiner rechten Hand steht auf Latein: «Komm Schöpfergeist!» Der Handrücken soll als Landeplatz für den Schöpfergeist dienen.

In Ihrem neuen Buch «Innozenz» gehts auch um die Magie des Nichts, was hat es damit auf sich?
Alles, was geschaffen ist, ist da – und so­mit endlich. Die Zigarre, die ich gerade rauche, schmeckt zwar fantastisch. Aber die Zigarre, die nicht da ist, ist un­endlich viel besser. Sobald etwas exis­tiert, ist es messbar und muss deshalb vergehen. Ich will jedoch die unendliche Zigarre! Die Zigarre ausserhalb aller irdischen Spielregeln.

Die Geschichte von «Innozenz», sagen Sie, habe sehr viel und gleichzeitig sehr wenig mit Ihnen zu tun.
Ich wollte das schwärzeste Buch schrei­ben, das es gibt. Schwarz in dem Sinne, dass ich die düstersten Philosophien real existierender Strömungen zu einem gedanklichen Bouillonwürfel kompri­mieren wollte, der sich im Kopf des Le­sers auflösen soll. Im Schwarzen ist alles – im Nichts ist alles. Es gibt keine Limitierung, keinen Anfang und kein Ende. Ist das nicht herrlich? 

Gion Mathias Cavelty (46) ist Schrift­steller und Satiriker. Mit 22 Jahren veröf­fentlichte der Bündner seinen Debütroman «Quifezit». Mit dem Werk «Endlich Nicht­leser» gelang ihm ein Bestseller, und mit «Innozenz» publizierte der passionierte Zigarrenraucher Anfang Jahr das nach seiner Aus­sage schwärzeste Buch überhaupt. Cavelty wohnt im zürcherischen Schwamendingen und wird 2021 eine regelmässige Kolumne im Cigar mit seinen Gedanken füllen.

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